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Usability, Risikomanagement und Design Control – 3 Wege, ein Ziel

Grenzen auflösen, Mehrwert schaffen: Usability trifft Design Control und Risikomanagement.

Drei wichtige Disziplinen – oft getrennt betrachtet, aber eng verflochten. Eine strategische Verzahnung minimiert Risiken, optimiert Designentscheidungen und ermöglicht dadurch letztlich ein effektives Medizinprodukt.

Die Entwicklung sicherer und gebrauchstauglicher Medizinprodukte ist Teamarbeit. Besonders zentral sind die Bereiche Usability Engineering, Risikomanagement und Design Control. Diese drei Prozesse sind eng miteinander verknüpft und überschneiden sich teilweise in ihren Zielen und Anforderungen. Diese Synergien können und sollten genutzt werden, um regulatorische Anforderungen zu erfüllen und gleichzeitig leistungsfähige, sichere und gebrauchstaugliche Produkte zu entwickeln. Effektivität ist Pflicht, Effizienz ist die Kür durch die letztendlich auch Zeit und Kosten gespart werden können.

Unterschiedlicher Fokus, ein gemeinsamer Nenner: Effektive Medi-zinprodukte

Wie lange liegt Ihr letzter Erste-Hilfe-Kurs zurück? Stellen Sie sich vor: Sie befinden sich in einem Notfall und müssen mit einem Laien-AED (Automatisierter Externer Defibrillator) eine Reanimation durchführen. Nach dem Einschalten kommt die Ansage „Pads richtig anbringen“. Doch die Elektroden haften nicht, Sie sind unsicher, in der Hektik vergeht wertvolle Zeit.

Die beschriebene Situation ist Teil eines gefährdungsbezogenen Use Scenarios und der Startpunkt für den „Staffellauf“ der 3 Disziplinen um das Design des AEDs sicherer und benutzerfreundlicher zu machen.  Sicherheit beginnt…

Risikomanagement

Gemeinsam mit Usability werden Gefährdungssituationen identifiziert, in denen kritische Benutzungsfehler – wie die falsche Platzierung der Pads – zu Schäden führen können. Die entsprechenden Risikokontrollen und die daraus resultierenden User Interface Spezifikationen sind Eingaben für die Entwicklung.

Design Control

Die Erkenntnisse aus Risikoanalyse und Usability Engineering werden nun im Rahmen der Entwicklung in konkrete technische Produktanforderungen übersetzt. Im Design Input werden beispielsweise der Einbau von Sensoren, die eine fehlerhafte Platzierung erkennen, und eine Implementierung intuitiver Sprachanweisungen festgelegt.

Usability

Usability Engineering unterstützt die Entwicklung durch formative Evaluationen, um Design Vorschläge zu testen und zu optimieren. Die finale Ansage – „Bitte legen Sie die Elektroden exakt in die markierten Bereiche auf und drücken Sie sie fest an, um einen sicheren Kontakt zu gewährleisten“ – wird dann abschließend in der summativen Evaluation auf Wirksamkeit geprüft.

Doch wäre es nicht noch benutzerfreundlicher ein vertauschungssicheres Design zu entwickeln? Diese Zukunftsperspektive stellt sicherlich eine spannende technologische Herausforderung für die Entwicklung dar, ruft jedoch sofort wieder das Risikomanagement auf den Plan, um mögliche neue Risiken zu analysieren. Der Wettbewerb um innovative und sichere Lösungen geht in die nächste Runde.

An diesem Beispiel sieht man, dass gerade durch die unterschiedliche Schwerpunktsetzung das gemeinsame Ziel in der Zusammenarbeit am besten erreicht werden kann.

Fokus Usability: Sichere und effektive Benutzung

Ziel des Usability Engineering ist es, sicherzustellen, dass ein Produkt für die vorgesehene Zielgruppe unter den jeweiligen Nutzungsbedingungen effektiv und sicher bedienbar ist. Der User steht dabei im Fokus und Risiken sowie Fehler bei der Benutzung sollen über optimierte User Interfaces minimiert werden. Iterative Tests in simulierten oder realen Nutzungsszenarien mit repräsentativen Benutzern spielen hier eine zentrale Rolle.  Im Beispiel des AED Defibrillators müssen sowohl die Bedürfnissen des Laienanwenders als auch des professionellen Nutzers wie Sanitäter oder Notfallarzt berücksichtigt werden.

Fokus Risikomanagement: Identifikation von Gefährdungen und Kontrolle der Risiken

Das Risikomanagement konzentriert sich auf die Identifikation der Gefährdungen und Gefährdungssituationen die zum Schaden führen können sowie die Bewertung und Minimierung der resultierenden Risiken. Das Medizinprodukt und seine sicherheitsrelevanten Merkmale stehen im Fokus. Risiken sollen durch Design, Schutzmaßnahmen und Information zur Sicherheit beherrscht werden. Die Risikokontrollen können beim Produkt oder bei relevanten Prozessen ansetzen. Grundlegende Sicherheitsanforderungen entsprechend des Stands der Technik müssen dabei berücksichtigt werden. Beim AED Defibrillator sind neben der Schockabgabe auch die Elektroden sowie die visuelle und akustische Benutzerführung sicherheitsrelevante Merkmale, die es sorgfältig zu analysieren gilt.

Fokus Design Control: Systematische Steuerung des Entwicklungsprozesses

Design Control sorgt dafür, dass alle Anforderungen an Funktion, Leistung, Sicherheit und Gebrauchstauglichkeit sowie regulatorische Vorgaben systematisch in den Entwicklungsprozess integriert werden. Das Design steht im Fokus und soll eine sichere und effektive Anwendung des Medizinproduktes über den ganzen Produktlebenszyklus gewährleisten. Für den AED Defibrillator werden z.B. über die Ergänzungsnorm IEC 60601-2-4 neben den besonderen Festlegungen für die Sicherheit auch wesentliche Leistungsmerkmale definiert. Hinsichtlich der Laienanwendung müssen zudem spezielle regulatorische Vorgaben aus Anhang I der MDR 2017/745 berücksichtigt werden.

Um die beschriebenen Ansätze effektiv umzusetzen, ist es unerlässlich die normativ geforderten Aktivitäten von Usability Engineering und Risikomanagement in den übergeordneten Design Control Prozess einzubetten.

Regulatorische Anforderungen: Warum eine integrative Sichtweise Pflicht ist

Die Verknüpfung von Usability Engineering, Risikomanagement und Design Control  ist nicht nur eine gute Praxis, sondern auch in internationalen Normen und Regularien verankert. Nur durch die Interaktion der drei Bereiche ist gewährleistet, dass Medizinprodukte sowohl sicher als auch gebrauchstauglich sind und alle regulatorischen Vorgaben erfüllt werden.

Relevante Normen und Vorschriften

Die regulatorischen Anforderungen, die die Zusammenarbeit zwischen Usability Engineering, Risikomanagement und Design Control fordern, sind in folgenden Normen und Regularien festgeschrieben:

IEC 62366-1

  • Verlangt die Integration eines systematischen Usability-Engineering-Prozesses in den Entwicklungsprozess nach ISO 13485
  • Verweist auf die ISO 14971 als zusätzlich anzuwendende Norm.
  • Hat die Identifikation von Risiken durch Fehlanwendungen und deren Reduktion durch benutzerzentriertes Design zum Ziel.
  • Fordert ein Usability Engineering File zur Dokumentation des benutzerzentrierten Entwicklungsprozesses.

ISO 14971

  • Verlangt die Identifikation von Gefährdungen sowie die Bewertung und Kontrolle von Risiken, einschließlich solcher, die durch Benutzungsfehler entstehen.
  • Verweist auf Design Verifizierung und Validierung für die Verifikation der Implementierung und Wirksamkeit von Risikokontrollmaßnahmen.
  • Fordert eine Risikomanagementakte mit Risikomanagementplan, Dokumenten zur Risikoanalyse und Risikomanagementbericht.

ISO 13485

  • Verlangt einen Risikomanagement Prozess als Teil der Produktrealisierung.
  • Erwartet Anforderungen zu Funktion, Leistung, Sicherheit und Gebrauchstauglichkeit als Teil des Design Inputs. Diese Anforderungen müssen für den bestimmungsgemäßen Gebrauch validiert werden.
  • Fordert Entwicklungsakten zur Dokumentation des gesamten Design- und Entwicklungsprozesses von Anforderungsanalyse bis zur Validierung.

FDA 21 CFR 820.30

  • Verlangt die systematische Anwendung von Design Control, um sicherzustellen, dass Produkte u.a. die Benutzer- und Sicherheitsanforderungen erfüllen.
  • Verweist auf Risikomanagement und Human Factors Engineering als flankierende Prozesse. Risikomanagement beginnt mit der Anforderungsanalyse.
  • Das mit der Benutzung des Medizinproduktes verbundene Risiko beeinflusst dabei den Umfang des Design Inputs.
  • Die Ergebnisse der Risikoanalyse werden als Design Output betrachtet.
  • Design Validierung umfasst das Testen unter tatsächlichen oder simulierten Nutzungsbedingungen.
  • Fordert die Erstellung eines Design History Files (analog zu den Entwicklungsakten der ISO 13485)

EU-MDR (2017/745)

  • Artikel 10 „Allgemeine Pflichten der Hersteller“ fordert einen Prozess zur Produktrealisierung sowie ein Risikomanagementsystem nach den Vorgaben in Anhang I Abschnitt 3.
  • Anhang I definiert die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen und schreibt u.a. vor, dass Risiken durch Anwendungsfehler und ergonomische Merkmale minimiert werden müssen.
  • Die Verbesserung der Gebrauchstauglichkeit ist neben Leistung und Sicherheit ein Schwerpunkt für die Überwachung nach dem Inverkehrbringen (Artikel 83).
  • Anhang II definiert die Inhalte der Technischen Dokumentation mit u.a. Produktbeschreibung, Zweckbestimmung, den grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen sowie Informationen zur Auslegung und zum Risikomanagement.

Wesentliche Dokumente aus dem Usability Engineering File (UEF), der Risikomanagementakte und der Entwicklungsakten (Design History File) können miteinander verknüpft sein, um regulatorische Anforderungen aus der IEC 62366-1, der ISO 14971 und der ISO 13485/FDA 21 CFR 820.30 zu erfüllen. Durch gemeinsame In- bzw. Outputs  können sie aufeinander aufbauen bzw. sich ergänzen:

Übersicht zu gemeinsamen oder zusammenhängenden Inhalten der vorgeschriebenen Akten:

Mehr als die Summe der Teile: Wo Usability, Risiko & Design ineinandergreifen

Das Zusammenspiel der drei Disziplinen zur Erfüllung der Anforderungen hinsichtlich Leistung, Sicherheit und Gebrauchstauglichkeit während des Entwicklungsprozesses zeigt nachfolgender Schnelldurchlauf:

  • Die Entwicklung startet mit der Ermittlung der Benutzeranforderungen (User Needs).
  • Die Analyse des Nutzungskontexts ergibt die Use Specification als Grundlage für die Definition der Zweckbestimmung.
  • Die Zweckbestimmung ist der Ausgangspunkt für Design Control und bildet den Rahmen für das Risikomanagement.
  • Beim Design Input müssen Anforderungen bezüglich Sicherheit und Gebrauchstauglichkeit berücksichtigt werden.
  • Dies setzt die Ermittlung sicherheitsrelevanter Merkmale des Produktes und des User Interfaces voraus, welche auch die Basis für die Identifizierung von Gefährdungen sind.
  • Die Analyse der gefährdungsbezogenen Use Scenarios liefert Input für die Risikoanalyse. Die dabei möglichen Use Errors sind Teil der Ereigniskette, welche zu Gefährdungssituationen führen können.
  • Maßnahmen zur Risikokontrolle werden durch User Interface Specifications ergänzt und als Eingabe in die Entwicklung zurückgespielt. Inhärente Sicherheit durch Design hat dabei oberste Priorität.

Insbesondere Risikomanagement und Usability Engineering bieten die Möglichkeit Anforderungen in Synergie abzudecken. Die übergeordneten Anforderungen des Risikomanagements werden dabei durch die benutzungsfokussierten Ergebnisse des Usability Engineerings ergänzt:

Benutzerzentriertes Design: Der Schlüssel zu sicheren und intuitiven Medizinprodukten

Die Identifikation und Integration von Benutzeranforderungen (User Needs) ist eine Schlüsselaufgabe, die alle drei Bereiche verbindet. Während Usability Engineering sich auf die Analyse von Benutzergruppen und Nutzungskontexten fokussiert, identifiziert das Risikomanagement potenzielle Risiken durch Benutzungsfehler und Fehlanwendungen. Design Control stellt sicher, dass diese Anforderungen systematisch ermittelt und in die Produktentwicklung integriert werden.

Zentrale Voraussetzung für ein benutzerzentriertes Design ist die Fähigkeit, sich in den Benutzer hineinzuversetzen. Benutzeranforderungen sollten daher in der Sprache des Anwenders formuliert werden und die zu lösende Aufgabe klar benennen. Mögliche Fehlanwendungen und Use Errors wiederum können nur identifiziert werden, wenn man die tatsächliche Nutzung kennt und realistische Use Scenarios definiert.

Usability Tests, Interviews und weitere Usability Engineering Methoden können die Realität inklusive aller möglichen Fehler sichtbar und greifbar machen.

Im nachfolgenden Beispiel soll das Zusammenspiel bei der Risikoanalyse konkretisiert werden. Bei dem zu analysierenden sicherheitsrelevanten Merkmal handelt es sich um das Schlauchsystem einer Blutpumpe bei einer Anwendung mit extrakorporalem Blutkreislauf (z.B. ECMO-Therapie):

Kontext der Anwendung:

Eine extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) wird auf einer Intensivstation für einen Patienten mit schwerem Lungenversagen durch medizinisches Personal durchgeführt. Die ECMO-Anlage besteht aus einer Blutpumpe, einem Oxygenator und einem Schlauchsystem, das das Blut aus dem venösen Kreislauf entnimmt, oxygeniert und wieder zurückführt.

Sicherheitsrelevantes Merkmal:
Schlauchsystem der Blutpumpe
Gefährdung:
Leckage im externen Blutkreislaufsystem
Gefährdungssituation:
Temperatur, mechanische Zugkräfte und Beanspruchung beeinträchtigen die Produktdichtheit. >>> Temperatur- und Druckeinwirkungen führen zu Mikrorissen / Rissen an Luer-Lock-Verbindungen. Der Patient ist akutem Blutverlust ausgesetzt
Schaden:
Hämorrhagie / Blutung
Risikokontrollen
Schutzmaßnahmen Design:
  • Geeignetes Schlauchsystem (Berücksichtigung normativer Anforderungen z.B. ISO 15676)
  • Undichtigkeitssensoren, die Blutverluste detektieren
Informationen zur Sicherheit:
  • Lagerungsbedingungen und Haltbarkeitsdatum für die Schlauchsysteme
  • Visuelle Dichtigkeitsprüfung vor jeder Anwendung (in Gebrauchsanweisung beschrieben)
Gefährdungsbezogenes Use Scenario mit Abfolge von Aufgaben:

Das medizinische Personal (z.B. Intensivpfleger) bereitet die ECMO-Anlage nach Anwei-sung vor.

  1. Sichtprüfung des Schlauchsystems auf Dichtigkeit und Unversehrtheit vor Inbetriebnahme
  2. Installation des Schlauchsystems mit sterilen Einmal-Komponenten und Anschluss an die Pumpe sowie den Oxygenator und Prüfung der Verbindungen
  3. Spülen der Anlage mit Kochsalzlösung, um Luftblasen zu entfernen.
  4. Verbindung des Systems mit dem Patienten
  5. Starten der ECMO-Therapie und kontinuierliche Überwachung des Kreislaufs, inklusive Durchflussraten, Druckwerte und Sensoralarme.
Ereigniskette (Sequence of Events) bis zur Gefährdungssituation
  1. Ursache/Use Error: Schlauchsystem wurde falsch gelagert (z. B. Hitzeeinwirkung), wodurch das Material vorzeitig porös wurde.
  2. User Error: Aufgrund von Zeitdruck ver-zichtet der Anwender auf die visuelle In-spektion, da bisher keine Probleme auf-getreten sind. Der Materialschaden bleibt unentdeckt.
  3. Beitragender Faktor: Der Anwender verlässt sich auf den Undichtigkeits-sensor, der jedoch nur auf größere Le-ckagen reagiert.
  4. Fehlanwendung: ECMO-Therapie wird entgegen der Anweisung ohne vorherige Sichtprüfung gestartet.

Weitere Maßnahmen zur Risikobeherrschung müssen analysiert werden.

Was ist bei der Analyse von Use Scenarios und Ereignisketten zu beachten?

  • Use Scenarios werden im Rahmen des Usability Engineerings analysiert und beschrei-ben nutzerzentrierte Abläufe im realen Anwendungskontext
  • Nicht jedes Use Scenario führt zu einer Gefährdungssituation
  • Die Ereigniskette (Sequence of Events) ist Teil der Risikoanalyse und enthält kritische Ereignisse, die zu einer Gefährdungssituation führen
  • Die Risikoanalyse setzt das Vorhandensein einer Gefährdung (Schadensquelle) voraus
  • Ein Use Scenario kann eine Ereigniskette enthalten, aber nicht jede Ereigniskette ist ein vollständiges Use Scenario
  • Use Errors sind Teil der Ereigniskette. Ein Use Error tritt nach Definition der Norm nur auf, wenn eine fehlerhafte Handlung oder Unterlassung stattfindet. Wahrnehmungs-fehler und Erkenntnisfehler werden eher als beitragende Faktoren oder Ursachen von Use Errors betrachtet.

Vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung

Usability als Sicherheitsfaktor: Risiken durch Design vermeiden

Wenn es um die Sicherheit geht, ziehen Usability Engineering, Risikomanagement und Design Control an einem Strang. Maßnahmen zur Risikokontrollen sollen entsprechend den Sicherheitsgrundsätzen getroffen werden. Das heißt, oberste Priorität ist ein inhärent sicheres Design und sichere Herstellung des Medizinprodukts, welche durch Schutzmaßnahmen und Sicherheitsinformationen unterstützt werden. Inhärente Sicherheit bei benutzungsbezogenen Risiken kann daher nur durch ein benutzerzentriertes Design erreicht werden. Usability gibt hier den Takt vor:

  • Usability: Iterative Tests mit repräsentativen Benutzern identifizieren frühzeitig potenzielle Fehlerquellen und Schwachstellen im User Interface Design. Diese Erkenntnisse dienen nicht nur zur Verbesserung der Usability sondern helfen dabei, Risiken, die durch Benutzungsfehler entstehen könnten, direkt durch eine Optimierung des User Interface Designs zu minimieren.
  • Risikomanagement: Die Risikoanalyse greift auf die ermittelten Gefährdungsbezogenen Use Scenarios inklusive ihrer Aufgabenanalyse zurück um die kritischen Schritte der Ereigniskette zu konkretisieren. An diesen setzen dann die verschiedenen Maßnahmen zur Risikominderung nach der geforderten Prioritätenordnung an.
  • Design Control: Notwendige Maßnahmen aus Usability-Tests oder der Risikoanalyse werden in technische Anforderungen und Spezifikationen übersetzt. Nur so können Risikokontrollen inhärent in das Design integriert werden. Hierbei gilt es auch, kostspielige Designänderungen in einem späten Entwicklungsstadium zu vermeiden.

Ein konkretes Beispiel für die Zusammenarbeit ist die Optimierung von Sicherheitsinformationen als schwächste Risikokontrolloption. Diese sind nur dann wirksam, wenn die wichtigen Inhalte am richtigen Ort bereitgestellt, verständlich formuliert und über das passende Medium vermittelt werden. Durch das Risikomanagement werden sicherheitsrelevante Inhalte ermittelt, Usability-Tests stellen sicher, dass die Informationen von Benutzern wahrgenommen und verstanden werden, und Design Control kümmert sich darum, dass daraus der passende Design Output (Gebrauchsanweisung, Warnhinweise, Kennzeichnung) erzeugt wird und die vom Hersteller bereitgestellten Informationen ihren Zweck erfüllen.

Damit solche Maßnahmen nachhaltig Wirkung zeigen, ist es entscheidend, ihre Wirksamkeit auch nach Inverkehrbringen im Rahmen der Post-Market Surveillance zu monitoren und bei Bedarf Verbesserungen anzustoßen.

Validierung und Verifizierung: Der letzte Checkpoint vor dem Ziel

Validierung und Verifizierung sind integrale Bestandteile der Entwicklung von Medizinprodukten und erfordern eine enge Zusammenarbeit von Usability, Risikomanagement und Design Control:

  • Usability: Validiert, ob das Produkt in realen Anwendungsszenarien sicher und effektiv genutzt werden kann. Dazu gehören summative Evaluationen, in denen geprüft wird, ob Benutzer das Produkt wie vorgesehen verwenden können.
  • Risikomanagement: Verifiziert, dass alle Maßnahmen zur Risikominimierung implementiert und wirksam sind. Dies umfasst auch Risikokontrollen für den Herstellungsprozess.
  • Design Control: Verifiziert, ob die definierten Anforderungen erfüllt sind, und validiert, dass das finale Medizinprodukt sicher und effektiv entsprechend der Zweckbestimmung angewandt werden kann.

Kritische Abweichungen bei der Verifizierung oder Validierung können Designänderungen oder eine Anpassung der Zweckbestimmung zur Folge haben. Entsprechende Entwicklungsaktivitäten inklusive Risikomanagement und Usability Engineering müssen dann unter Umständen erneut durchgeführt werden.

Wenn alle drei Disziplinen optimal zusammengearbeitet haben, geht es nach diesem Checkpoint einen großen Schritt weiter Richtung Markteinführung.

Praktische Tipps für Hersteller: So gelingt die Integration

Die erfolgreiche Integration von Usability Engineering, Risikomanagement und Design Control erfordert nicht nur technische Expertise, sondern auch organisatorische und strategische Maßnahmen. Hersteller können folgende Ansätze nutzen, um ihre Prozesse zu optimieren:

Interaktion mit Anwendern

Der Benutzer sollte nicht nur auf dem Papier im Mittelpunkt stehen sondern aktiv eingebunden werden.

  • Nutzen Sie Ihr Netzwerk: Fragen Sie Ihre Anwender und externe Fachgremien
  • Blicken Sie über den Tellerrand: Probieren Sie bewährte Methoden auch aus anderen Bereichen um Ihren Anwender besser kennenzulernen. Ein Tool, das in der „Define Phase“ des Six Sigma Prozesses zum Einsatz kommt, nennt sich passenderweise „Voice of Customer“.
  • Setzen Sie auf praxisnahe Erfahrung: Der Gemba Walk – ein Kernprinzip aus dem Lean Management bedeutet „an den Ort des Geschehens zu gehen“. Besuchen Sie Kliniken, Labore oder andere reale Einsatzorte Ihres Produkts, um Abläufe und Herausforderungen praxisnah zu erleben.

Interdisziplinäre Teams schaffen

Ein Team, das Experten aus allen drei Bereichen umfasst, kann Herausforderungen ganzheitlich betrachten und lösen. Unterschiedliche Perspektiven führen zu umfassenderen Analysen und effektiveren Maßnahmen. Voraussetzung dafür ist allerdings ein gemeinsames Verständnis.

  • Fördern Sie den Austausch zwischen Usability-Experten, Risikomanagern und Designingenieuren.
  • Planen Sie im Vorfeld der offiziellen Design Reviews regelmäßige technische Reviews, um Testergebnisse, Risikoanalysen und Designänderungen gemeinsam zu bewerten.
  • Zusammenarbeit erfordert auch Kompromissbereitschaft. Machen Sie daher Entscheidungen transparent und nachvollziehbar.

Iterative Prozesse etablieren

Ein iterativer Entwicklungsprozess reduziert Fehler und minimiert kostspielige Änderungen in späten Projektphasen.

  • Planen Sie wiederholte Tests in verschiedenen Entwicklungsstadien, um Erkenntnisse kontinuierlich noch vor der abschließenden Design Verifikation in das Design einfließen zu lassen.
  • Setzen Sie Prototypen oder Modelle ein, um frühzeitig Feedback von Benutzern und Stakeholdern einzuholen.
  • Machen Sie Usability zu einem regelmäßigen Agenda Punkt in den Design Reviews.

Effiziente Dokumentation sicherstellen

Um Mehraufwand, Redundanzen und Inkonsistenzen zu vermeiden, sollten gemeinsame Inhalte so dokumentiert werden, dass sie von mehreren Disziplinen genutzt werden können.

  • Setzen Sie auf modulare Dokumentation und nutzen Sie ein zentrales Dokumentationssystem. Verschiedene Disziplinen können so, nach dem Prinzip „single source of truth“, auf gemeinsame Inhalte zugreifen.
  • Statt dieselben Informationen mehrfach in Risikomanagementakte, Usability Engineering File und Entwicklungsakte zu pflegen, sollten wo möglich Querverweise genutzt werden. Oft genügt für das Verständnis des jeweiligen Dokuments eine kurze Zusammenfassung mit einem Verweis, wo detaillierte Informationen zu finden sind.

Die größte Herausforderung liegt oft nicht in der Dokumentation selbst, sondern darin, wie Informationen zwischen Teams effizient weitergegeben werden, so dass diese dann an der richtigen Stelle dokumentiert werden.

  • Eine klare Definition der Schnittstellen helfen bei der Informationsübergabe.
  • Standardisierte Templates sorgen dafür, dass die richtigen Inhalte an der richtigen Stelle dokumentiert werden.

Technologie und Schulungen nutzen

Die Digitalisierung bietet zahlreiche Werkzeuge, die die Zusammenarbeit und Dokumentation vereinfachen. Gleichzeitig ist die kontinuierliche Weiterbildung der Teams entscheidend.

  • Investieren Sie in Tools für Requirements- und Risikomanagement, die teamübergreifend genutzt werden können und vor allem auch die Verlinkung und Rückverfolgung (Traceability) automatisieren.
  • Bieten Sie regelmäßige Schulungen zu regulatorischen Anforderungen und Best Practices an.

Durch diese Maßnahmen können Hersteller die Integration der drei wesentlichen Bereiche aktiv unterstützen.

Fazit: Synergien nutzen – effizienter entwickeln

Die Schnittstellen zwischen Usability, Risikomanagement und Design Control sind das Rückgrat eines effektiven Entwicklungsprozesses für Medizinprodukte. Diese Bereiche greifen wie Zahnräder ineinander, um die klinische Leistung, Sicherheit, Gebrauchstauglichkeit und regulatorische Konformität des entwickelten Medizinproduktes zu gewährleisten. Ihre Integration ist nicht nur eine regulatorische Notwendigkeit, sondern auch eine Chance, Entwicklungsprozesse effizienter zu gestalten und Produkte schneller auf den Markt zu bringen.

Kernpunkte der Integration:

  1. Benutzerzentrierung als Leitprinzip: Die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Benutzer bilden zusammen mit dem Nutzungskontext die Grundlage aller Entscheidungen – von der Risikoanalyse bis zur Spezifikation technischer Anforderungen.
  2. Regulatorische Konformität durch Interaktion: International anerkannte Normen wie IEC 62366-1, ISO 14971, ISO 13485 und FDA 21 CFR 820.30 erfordern eine enge Verzahnung der drei Prozesse zur Erreichung des gemeinsamen Ziels.
  3. Effizienz durch Synergien:  Schnittmengen erkennen und Inhalte gemeinsam nutzen vermeidet Mehrarbeit und Inkonsistenzen. Dies kann durch eine entsprechende Dokumentenstruktur und digitale Tools unterstützt werden.
  4. Kontinuierliche Verbesserung: Entwicklungsbegleitende formative Evaluierungen, iterative Risikoanalysen und systematische Design Reviews gewährleisten, dass Schwachstellen rechtzeitig erkannt werden und neue Erkenntnisse kontinuierlich in die Entwicklung einfließen.

Die Integration von Usability, Risikomanagement und Design Control ist kein Selbstzweck, sondern ein Schlüssel zur Entwicklung von Medizinprodukten, die nicht nur den Marktanforderungen entsprechen, sondern auch die Lebensqualität der Anwender verbessern. Hersteller, die diese Bereiche harmonisch vereinen, schaffen die Grundlage für langfristigen Erfolg – im Wettbewerb und bei der Patientensicherheit.

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