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Usability – Regulatorische Anforderungen für Medizinprodukte

Usability in der Medizintechnik - Lehren aus der Vergangenheit, Anforderungen für die Zukunft

Was haben der Ford Pinto und der Therac-25 gemeinsam? Beide führten in den 70er und 80er Jahren zu vermeidbaren Todesfällen und in Folge dessen zu neuen Sicherheitsstandards – der eine in der Automobilbranche, der andere in der Medizintechnik. Während katastrophale Konstruktionsfehler bei der Tankplatzierung zur Einführung der FMEA als Risikoanalyse Technik beitrugen, waren es bei dem computergesteuerten Strahlentherapiegerät fatale Software-Fehlfunktionen und schlechte Benutzerführung, die den Therac-25 in die Schlagzeilen brachte und damit auch die Usability in den Fokus rückte.

Infusionspumpen sind hier ein weiteres prominentes Negativbeispiel. Die meisten der zwischen 2005 und 2009 an die FDA Behörde gemeldeten Probleme mit Infusionspumpen fielen in die Kategorie "Inadequate user interface design (human factors issues)“. Die FDA  startete daraufhin 2010 eine entsprechende Initiative (White Paper: Infusion Pump Improvement Initiative), die unter anderem 2011 zur Veröffentlichung einer Draft Guidance „Applying Human Factors Engineering to Optimize Medical Device Design“ führte.

Gehäufte Vorfälle mit medizinischen Geräten in der Vergangenheit, die auf Benutzerfehler zurückzuführen waren, haben den Regulierungsdruck enorm erhöht. Die Usability (Gebrauchstauglichkeit) wurde in den letzten Jahren zunehmend in internationale Normen, Guidances und Regularien integriert, um eine sichere und effektive Nutzung zu gewährleisten. Als bekannteste Usability Norm in der Medizinproduktewelt ist hier vor allem die IEC 62366 hervorzuheben.

Usability-Engineering: Mehr als nur Compliance – ein echter Erfolgsfaktor

Technologische Innovationen im Medizinproduktebereich, wie z.B. smarte Glukosemonitore oder KI-gestützte Diagnosesystem, setzen nicht nur auf höhere Sicherheit, sondern auch auf eine optimale Usability, um die Marktakzeptanz zu steigern. Besonders in digitalen und patientennahen Anwendungen entscheidet eine intuitive Bedienbarkeit darüber, ob ein Produkt im klinischen Alltag oder beim Patienten zu Hause erfolgreich eingesetzt wird.

Der technologische Fortschritt und die verstärkte Nutzung durch Laienanwender machen auch die Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit komplexer. Heute ist sie ein unverzichtbarer Bestandteil des Entwicklungsprozesses, um sowohl regulatorische Anforderungen zu erfüllen als auch die Patientensicherheit zu gewährleisten.

Ein systematischer Usability-Engineering-Ansatz bringt Herstellern und Nutzern gleichermaßen zahlreiche Vorteile:

  • Steigerung der Sicherheit: Fehler und Risiken bei der Anwendung werden durch benutzerzentriertes Design reduziert.
  • Effizienz und Kostenersparnis: „Usability by Design“ vermeidet bereits in der Entwicklung teure Designänderungen. Eine intuitive Bedienung senkt zudem Schulungs- und Supportkosten nach Inverkehrbringung.
  • Höhere Akzeptanz am Markt: Produkte mit klarer und einfacher Bedienbarkeit sind sowohl bei Fachpersonal als auch bei Patienten beliebter.
  • Regulatorische Konformität: Durch Usability-Engineering können Hersteller die internationalen gesetzlichen und normativen Anforderungen effizient erfüllen.

Wer Usability frühzeitig in die Produktentwicklung integriert, spart sich später teure Anpassungen, reduziert Schulungs- und Supportanfragen und kommt schneller zur Marktzulassung. Usability ist kein reiner Kostenfaktor – sondern auch ein Wettbewerbsvorteil.

Von der Ergonomie zur IEC 62366: Wie Usability zur Pflicht wurde

Usability ist keine Erfindung der Medizintechnik. Die Mensch-Maschine Schnittstelle spielte bereits lange vor der Erstveröffentlichung der IEC 62366 eine zentrale Rolle in der IT- und Softwareentwicklung. Die regulatorischen Ursprünge reichen in die 1990er Jahre zurück, als die ISO 9241 grundlegende normative Anforderungen an ergonomische und benutzerfreundliche Systeme formulierte.

Während anfangs der Fokus auf Bildschirmarbeitsplätzen und Interaktionsdesign lag, wurde schnell klar, dass schlechte Usability auch in sicherheitskritischen Bereichen – von Luftfahrt bis Medizintechnik – fatale Folgen haben kann. Die medizintechnischen Normen knüpften schließlich an diese Erkenntnisse an und übertrugen sie auf Medizinprodukte, um Benutzer- und Patientenrisiken systematisch zu minimieren.

Zeitlich gesehen hatte hier die FDA mit der 2000 veröffentlichten ersten Guidance zu Human Factors Engineering (“Medical Device Use-Safety: Incorporating Human Factors Engineering into Risk Management”) die Nase vorn. Mit der Einführung der IEC 60601-1-6 im Jahr 2006, welche die Anforderungen an die Usability von elektrischen medizinischen Geräten spezifizierte, folgte dann die erste internationale Norm.

Die Veröffentlichung der IEC 62366 im Jahr 2007 stellt einen weiteren Meilenstein dar, da sie erstmals durch die Einführung eines klar definierten Usability-Engineering-Prozesses einen systematischen Ansatz für die Gebrauchstauglichkeit von Medizinprodukten bot. Die Norm machte deutlich, dass die Usability nicht nur ein Qualitätsmerkmal ist, sondern einen direkten Einfluss auf die Sicherheit eines Produkts hat. Mit der Revision 2015 folgte eine Zweiteilung in den regulatorisch relevanten normativen Teil 1 (IEC 62366-1:2015, Update A1:2020) mit Schwerpunkt Sicherheit und den Technischen Report Teil 2 (IEC/TR 62366-2:2016) mit praktischen Informationen zur Anwendung und Dokumentation. Die IEC 62366-1 ist mittlerweile der internationale Gold Standard im Bereich Usability und auch von der FDA anerkannt. Eine Harmonisierung auf die MDR (EU) 2017/745 steht allerdings noch aus.

Die Entwicklung wichtiger Regularien im Zusammenhang mit Usability ist nachfolgend darstellt:

  • 1997FDA Guidance

    FDA Design Control Guidance (in accordance to FDA 21 CFR 820.30) erwähnt Human Factors im Zusammenhang mit Design Validierung.
  • 1997Software Norm

    Erste Veröffentlichung der ISO 9241-1 Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten
  • 1998Software Norm

    ISO 9241-11 definiert Usability als Effektivität, Effizienz und Zufriedenheit in spezifischen Nutzungskontexten (aktualisiert 2018)
  • 2000FDA Guidance

    FDA veröffentlicht erste Guidance zu Human Factors Engineering „Medical Device Use-Safety: Incorporating Human Factors Engineering into Risk Management”

    (aktualisierter Draft 2011, finale Guidance “Applying Human Factors and Usability Engineering to Medical Devices” 2016)

  • 2006Medizinprodukte/Software Norm

    IEC 60601-1-6: Usability für elektrische Medizingeräte

    ISO 9241 Umbenennung der Normenreihe in „Ergonomie der Mensch-System-Interaktion“

  • 2007Medizinprodukte Norm

    IEC 62366 beschreibt erstmalig einen Usability Engineering Prozess für Medizinprodukte
  • 2011Software Norm

    ISO/IEC 25010 legt Qualitätsmerkmale wie Funktionalität, Zuverlässigkeit und Benutzerfreundlichkeit fest (aktualisiert 2023)
  • 2015Medizinprodukte Norm

    IEC 62366-1 definiert die Anwendung der Gebrauchstauglichkeit in Anlehnung an den Risikomanagementprozess
  • 2016Medizinprodukte Leitfaden

    IEC/TR 62366-2 dient als Leitfaden zur praktischen Anwendung und Dokumentation
  • 2016Medizinprodukte Norm

    ISO 13485 listet Usability-Anforderungen als Entwicklungseingabe für den Design und Entwicklungsprozess
  • 2017Medizinprodukte Regulierung

    Verordnung (EU) 2017/745 (MDR) Anhang I: Gebrauchstauglichkeit wird „Gesetz“ in der EU.
  • 2023FDA Guidance

    FDA Guidance als Q&A zur Anwendung von Human Factors Engineering für Kombinationsprodukte
  • 2024KI Regulierung

    Verordnung (EU) 2024/1689 zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz (EU AI Act) unter Einbezug von Medizinprodukten
  • 2025Medizinprodukte Norm

    Under development

    ISO/CD TS 24971-2 Medical devices — Guidance on the application of ISO 14971 Part 2: Machine learning in artificial intelligence

  • ???Final draft

    ISO/FDIS 18374 Dentistry — Artificial intelligence (AI) and augmented intelligence (AuI) based 2D radiograph analysis — Data generation, data annotation and data processing draft

Diese Übersicht der internationalen Regularien macht deutlich, dass Gebrauchstauglichkeit weltweit als unverzichtbarer Bestandteil der Sicherheits- und Qualitätsbewertung etabliert ist.

Der Weg der Usability in die Regulatorik spiegelt die zunehmende Komplexität der Medizinprodukte und die steigenden Anforderungen an die Patientensicherheit wider. Die Liste wird sicher zukünftig vor allem auch hinsichtlich der Nutzung Künstlicher Intelligenz in der Medizintechnik noch fortgesetzt werden. Erste Normierungsaktivitäten dazu sind auf jeden Fall schon angelaufen.

Regulatorische Hürden oder klare Leitplanken? Was Hersteller wissen müssen

Die regulatorischen Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit von Medizinprodukten haben ein zentrales Ziel: Die sichere und effektive Anwendung der Produkte durch Minimierung von Benutzungsfehlern (Use Errors). Diese Anforderungen betreffen alle Phasen des Produktlebenszyklus – von der Konzeption über die Entwicklung bis hin zur Markteinführung und darüber hinaus.

Von den Herstellern wird erwartet, dass sie die Gebrauchstauglichkeit in den Entwicklungsprozess integrieren und die entsprechenden Aktivitäten umfassend dokumentieren.

Die MDR verankert die Gebrauchstauglichkeit in den Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen im Anhang I mit Anforderungen an die Auslegung und die bereitzustellende Dokumentation. Dies betrifft sowohl Produkte, die von Fachpersonal angewendet werden als auch solche, die von Laien bedient werden, wie etwa im Home Care Bereich. In Artikel 83 zum Post-Market Surveillance System wird zudem explizit die Verbesserung der Usability während des Lebenszyklus gefordert. Die zu erbringenden Nachweise sind Teil der Technischen Dokumentation (entsprechend Anhang II) und werden im Rahmen der Konformitätsbewertung geprüft.

Die FDA sieht Human Factors Engineering als designrelevanten Prozess und damit als integralen Bestandteil ihrer Design Control Anforderungen speziell im Bereich Design Validierung. Beide Regularien verbinden die Gebrauchstauglichkeit eng mit dem Risikomanagement.

Hersteller müssen nachweisen, dass ihr Produkt so gestaltet ist, dass es sicher und effektiv genutzt werden kann.

Die wichtigsten regulatorischen Anforderungen an Gebrauchstauglichkeit umfassen:

  • Systematische Anwendung eines Usability-Engineering-Prozesses, der Benutzeranforderungen und Risiken durch Fehlanwendungen analysiert und adressiert (IEC 62366-1, FDA Guidances)
  • Berücksichtigung der Usability bereits beim Design der Produkte und Nachweis insbesondere im Rahmen der Design Validierung (MDR 2017/745 Anhang I, FDA 21 CFR 820.30, FDA Human Factors Guidance, ISO 13485).
  • Kontinuierliche Überwachung während des gesamten Produktlebenszyklus (MDR 2017/745 Artikel 83).
  • Abstimmung mit dem Risikomanagement bei der Identifikation und Minimierung von Risiken durch Benutzungsfehler (ISO 14971).
  • Erstellung eines Usability Engineering Files zur Dokumentation der Ergebnisse (IEC  62366-1, FDA Human Factors Guidance) als Teil der zulassungsrelevanten Dokumentation (MDR 2017/745 Anhang II).

Abgrenzung zu anderen Bereichen

Während Gebrauchstauglichkeit eng mit Risikomanagement und Design Control verbunden ist, hat sie dennoch ihren eigenen Schwerpunkt. Usability fokussiert auf die Interaktion zwischen Produkt und Benutzer, während Risikomanagement das Gesamtrisiko des Produkts betrachtet. Hersteller müssen diese Schnittstellen verstehen, um Anforderungen effizient umzusetzen. Die User Experience geht noch eine Schritt darüber hinaus und bezieht die Nutzerzufriedenheit mit ein (siehe Kapitel 5 zu UX).

Usability dokumentieren – aber richtig! Anforderungen an das Usability Engineering File

Ohne die richtige Dokumentation ist die beste Usability nichts wert, zumindest aus rein regulatorischer Sicht. Hier kommt das Usability Engineering File (UEF) oder der Human Factors Engineering (HFE) Report der FDA Guidance ins Spiel. In der IEC 62366-1 findet man insgesamt 13 Verweise, dass die Einhaltung der normativen Anforderungen durch Einsichtnahme in das USABILITY ENGINEERING FILE geprüft wird.

Usability Engineering File (UEF)

Die während des Usability-Engineering-Prozesses entstandenen Aufzeichnungen und Dokumente bilden das Usability Engineering File (UEF). Dieses kann separat geführt oder in andere Akten, wie die Risikomanagementakte, integriert werden bzw. sich auch Dokumente mit anderen Akten wie z.B. der Entwicklungsakte teilen. Das UEF ist für alle Medizinprodukte relevant und dient als Nachweis für regulatorische Anforderungen.

Zentrale Bestandteile des UEF:

  • Use Specification: Beschreibung der vorgesehenen medizinischen Indikation, der Patientengruppe, der Körperteile oder Gewebetypen, der Benutzer, der Nutzungsumgebung und des Funktionsprinzips. ( Schnittstelle zur Entwicklungsakte: Zweckbestimmung und User Needs)
  • Benutzungsrelevante Gefährdungen und Gefährdungssituationen: Identifikation von Gefährdungen und Analyse potenzieller Gefährdungssituationen für Patienten, User und andere Personen. ( Schnittstelle zur Risikomanagement Akte)
  • Ermitteln Gefährdungsbezogener Use Scenarios und Auswahlschema: Die Beschreibung muss sowohl alle Aufgaben, deren Reihenfolge als auch den Schweregrad des resultierenden Schadens enthalten ( Schnittstelle zur Risikomanagement Akte). Der Schweregrad wird oftmals auch als Auswahlkriterium für die Berücksichtigung in der summativen Evaluation herangezogen.
  • User Interface Specification: Prüfbare technische Anforderungen an das User Interface und dessen sicherheitsrelevanten Funktionen sowie Anforderungen an Begleitdokumentation und Training Schnittstelle zur Entwicklungsakte: Design Input).
  • User Interface Design und Evaluation: Während der Entwicklung werden formative Evaluationen zur Optimierung des User Interface Designs durchgeführt, dessen Eignung dann in der summativen Evaluation  bewertet wird. Das User Interface Design, die Planung, Durchführung und Ergebnisse der Evaluationen werden im UEF dokumentiert ( Schnittstelle zur Entwicklungsakte: Design Output, Design Verifikation, Design Validierung).

Der Fokus auf die Sicherheit in der IEC 62366-1 hat viele Überschneidungen mit dem Risikomanagement, sodass hier Synergien bei der Dokumentation genutzt werden können.

Human Factors Engineering (HFE) Report

Die FDA Guidance "Applying Human Factors and Usability Engineering to Medical Devices" (2016) fordert vergleichbare Inhalte und legt dabei einen besonderen Schwerpunkt auf den praktischen Nachweis durch Usability-Tests, insbesondere für kritische Aufgaben.

Gliederung des HFE (nach Tabelle A-1)

  1. Schlussfolgerung
    Überblick über das Produkt, seine Funktion, Zielgruppen und die Notwendigkeit von Human Factors Engineering
  2. Nutzungskontext (= Use Specifications des UEFs)
    Beschreibung des Intended Users und deren Fähigkeiten, der Benutzung, der Nutzungsumgebung und der Nutzer Trainings
  3. Beschreibung des User Interfaces (= User Interface Specifications des UEFs)
    Grafische Darstellung, inklusive Labeling und erwartete User Interaktionen
  4. Überblick bekannter Nutzungsprobleme (= Benutzungsrelevante Gefährdungen und Gefährdungssituationen des UEFs)
    Bekannte Nutzungsprobleme vorheriger oder ähnlicher Produkte
  5. Benutzungsrelevante Gefährdungen und Risikoanalyse (= Benutzungsrelevante Gefährdungen und Gefährdungssituationen des UEFs)
    Erfassung möglicher Anwendungsfehler, Risikobewertung und Vermeidungsstrategien
  6. Vorläufige Analysen und Evaluierungen (= formative Evaluation des UEFs)
    Ergebnisse aus durchgeführten Evaluierungen und daraus resultierenden Design Modifizierungen
  7. Kritische Aufgabenanalyse (= Ermitteln Gefährdungsbezogener Use Scenarios und Auswahlschema des UEFs)
    Identifikation von sicherheitskritischen Interaktionen und erforderlichen Tests
  8. Human Factors validation testing (= summative Evaluation des UEFs)
    Detaillierte Beschreibung der durchgeführten Tests, der Datenerhebung und der Analyseergebnisse.

Gute Usability beginnt mit durchdachtem Design – aber erst die richtige Dokumentation macht das Produkt wirklich marktreif.

UX bei Medizinprodukten: Wo hört die Regulierung auf und fängt die Kür an?

Der Begriff User Experience (UX) stammt ursprünglich aus der Software- und Produktentwicklung, insbesondere durch den Einfluss von Don Norman, einem Pionier auf dem Gebiet der menschzentrierten Gestaltung. Norman prägte den Begriff in den 1990er-Jahren, als er bei Apple als „User Experience Architect“ tätig war. Die Konzepte von UX sind eng mit den Prinzipien des Human Factors Engineering und Usability verbunden, entwickelten sich jedoch weiter, um auch emotionale und ästhetische Aspekte des Nutzungserlebnisses zu berücksichtigen.

Direkte Erwähnungen von UX finden sich selten in Regularien, dennoch decken IEC 62366-1, MDR und FDA Human Factors Guidance UX-Aspekte indirekt durch Anforderungen an Benutzerfreundlichkeit, Sicherheit und Komfort ab. Die ISO/IEC 25010, ISO/IEC 25066 und insbesondere ISO 9241-210 liefern klare Definitionen und Richtlinien zur Integration von UX in die Produktentwicklung:

  • ISO 9241-210: Liefert Methoden und Prinzipien, um UX in den Entwicklungsprozess zu integrieren. Besonders hilfreich bei der Analyse von Nutzungskontexten und der Iteration von Designs. Die Norm definiert User Experience als die
    „Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person, die aus der Nutzung oder der erwarteten Nutzung eines Produkts, Systems oder einer Dienstleistung resultieren.“
  • ISO/IEC 25010: Bietet messbare Kriterien zur Bewertung der Software-Qualität und unterstützt die Umsetzung regulatorischer Anforderungen, insbesondere bei softwarebasierten Medizinprodukten.
  • ISO/IEC 25066: Beschreibt spezifische Methoden zur Bewertung von Usability und UX, insbesondere im Zusammenhang mit Softwaresystemen.

Die User Experience (UX) betrachtet somit das gesamte Nutzungserlebnis eines Produkts und bietet Vorteile, die über reine Usability hinausgehen:

  1. Emotionale Akzeptanz: UX schafft Vertrauen und Zufriedenheit, besonders bei Laienanwendern.
  2. Stressreduktion: Ein angenehmes Design mindert Unsicherheit und erhöht das Wohlbefinden.
  3. Ersteindruck zählt: Ein positives Nutzererlebnis stärkt die Akzeptanz und Markenbindung.
  4. Langfristige Nutzung: Produkte mit guter UX werden häufiger und länger verwendet.
  5. Wettbewerbsvorteile: Ästhetik und Komfort heben Produkte vom Standard ab.

UX schafft Vertrauen, steigert die Nutzung und macht Produkte zu einem Erlebnis – weit über funktionale Anforderungen hinaus.

Zwischen Aufwand und Innovation: Die größten Herausforderungen für Hersteller

Die Umsetzung der regulatorischen Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit ist für viele Medizinproduktehersteller eine komplexe Aufgabe. Sie erfordert nicht nur eine frühzeitige Integration in den Entwicklungsprozess, sondern auch eine enge Abstimmung mit anderen internen Abläufen. Die größten Herausforderungen lassen sich in fünf zentrale Bereiche unterteilen:

  1. Kosten & Aufwand: Usability als langfristige Investition
    • Die Durchführung repräsentativer Usability-Tests mit den tatsächlichen Nutzern unter realen Bedingungen kann teuer und zeitaufwendig sein – insbesondere, wenn spezielle Nutzungsumgebungen oder unterschiedliche Benutzergruppen zu berücksichtigen sind.
    • Unternehmen müssen oft zwischen Budgetrestriktionen und optimaler Gebrauchstauglichkeit abwägen, sodass Usability-Engineering zunehmend auf den Sicherheitsaspekt reduziert wird, wodurch der Wettbewerbsvorteil verloren gehen kann.
  2. Schnittstellen mit anderen internen Prozessen
    • Risikomanagement & Usability: IEC 62366-1 und ISO 14971 müssen eng verzahnt werden, da Use Errors als Risikofaktor betrachtet werden. Synergien bei der Analyse und Dokumentation sollten genutzt werden.
    • Software-Entwicklung & Usability: Agile Entwicklungsmethoden (z. B. Scrum) erfordern kontinuierliche Usability-Evaluationen, was den Dokumentationsaufwand erhöht.
  3. Regulatorische Anforderungen in globalen Märkten
    • Unterschiedliche Märkte haben abweichende Usability-Vorgaben:
      • EU (MDR): Klare Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit, aber keine explizite Testpflicht.
      • USA (FDA): Starke Fokussierung auf Human Factors Validation Testing für kritische Aufgaben.
      • China & andere Märkte: Oft fehlende oder unklare Usability-Vorgaben, sodass Hersteller sich an MDR/FDA orientieren müssen.
    • Die Harmonisierung bleibt ein zentrales Ziel, um den internationalen Marktzugang zu erleichtern.
  4. Technologischer Fortschritt: Herausforderungen durch digitale Innovationen
    • KI-gestützte Medizinprodukte: Die Verständlichkeit und Interpretierbarkeit von KI-Entscheidungen für Nutzer stellt neue Usability-Anforderungen.
    • App-basierte Medizinprodukte und Telemedizin: Regulierungsbehörden fordern zunehmend Usability-Nachweise für patientennahe Produkte, die nicht von Fachpersonal genutzt werden.
    • Vernetzte Geräte: Die Integration von Geräten in vernetzte Systeme ermöglicht eine zentralisierte Steuerung und Überwachung. Gleichzeitig erfordert dies ein intuitives Interaktionsdesign, das die Komplexität für den Benutzer reduziert und die Sicherheit gewährleistet.
    • Automatisierung & Robotik: Komplexe Interaktionsprozesse zwischen Mensch und Maschine erhöhen die Risiken von Bedienfehlern.
    • 3D-Druck und Personalisierung: Individuell angepasste Produkte bieten neue Möglichkeiten, erfordern jedoch eine präzise Analyse der Benutzeranforderungen und klare Prozesse zur Validierung der Gebrauchstauglichkeit.
  5. Vielfältige Benutzergruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen
    • Medizinprodukte müssen für sehr heterogene Nutzergruppen optimiert werden, darunter:
      • Ärzte & Pflegepersonal: Profis mit hohem Zeitdruck und hoher Fachkompetenz, die unter professionellen Nutzungsbedingungen in Kliniken oder Arztpraxen arbeiten.
      • Patienten & Laien: Personen mit oft geringer medizinischer Vorbildung, die dennoch komplexe Geräte in häuslicher Umgebung sicher bedienen müssen. Hier ist auch eine gute Fehlertoleranz (Robustheit gegen Benutzungsfehler) gefragt.
      • Senioren & Menschen mit Einschränkungen: Barrierefreie Gestaltung von Bedienoberflächen ist zunehmend gefordert. Der Gesundheitszustand von Patienten muss vor allem bei der Selbstanwendung berücksichtigt werden.
    • Eine „One-Size-Fits-All“-Usability-Strategie funktioniert oft nicht – Hersteller müssen verschiedene Nutzungsszenarien gezielt testen und berücksichtigen.

Fazit: Usability - früher ein Nice-to-have, heute unverzichtbar

Die Gebrauchstauglichkeit hat sich von einer Nischendisziplin zu einem festen Bestandteil der regulatorischen Anforderungen in der Medizinproduktebranche entwickelt. Die größte Herausforderung für Hersteller ist es, Usability-Anforderungen frühzeitig in den Entwicklungsprozess zu integrieren, ohne dabei Kosten, Zeit oder regulatorische Compliance aus dem Blick zu verlieren. Besonders der technologische Wandel, globale Unterschiede in den Regularien und die Vielfalt der Nutzergruppen machen die Umsetzung anspruchsvoll. Erfolgreiche Unternehmen setzen auf integriertes Usability-Engineering, das von Anfang an mit Risikomanagement, (Software-) Entwicklung und Post-Market Surveillance verzahnt ist.

Technologische Innovationen, der wachsende Homecare Markt mit zunehmender Fokussierung auf Laienanwender und Bestrebungen zur globalen Harmonisierung prägen die zukünftige Ausrichtung dieses Bereichs. Hersteller müssen auf diese Trends reagieren, um ihre Produkte zukunftssicher zu gestalten und Wettbewerbsvorteile zu sichern.

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